Brot und Rosen

Nachdem Helke Sander die Kinderladenbewegung und den Aktionsrat zur Befreiung der Frauen initiiert hatte, sichder Aktionsrat aber nach Liniendivergenzen 1969 auflöste, wandte sich Helke Sander dem Thema Verhütung zu.

Sie realisierte zusammen mit Sarah Schumann und Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen 1972 die witzige und zu jener Zeit hochinteressante Dokumentation Macht die Pille frei?[1].

1971 hatte Helke Sander begonnen zur Wirkung der Pille zu recherchieren zusammen mit Sarah Schumann, dann kam Verena Stefan dazu – 1975 schrieb sie Häutungen[2].
Helke Sander erinnert sich:

Zuerst befragten wir ca. zwanzig Ärzte zur Wirkung der Pille – ohne dass auch nur einer etwas Genaues dazu sagen konnte. Verena Stefan war damals Physiotherapeutin und mit einem Arzt befreundet, den wir befragten. Unsere Fragen fand sie so interessant, dass sie mitarbeiten wollte. Dann kamen zwei weitere Malerinnen zur Gruppe: Evelyn Kuwertz und Antonia Wernery – ja, wir waren hauptsächlich Künstlerinnen! Einige waren oder wurden lesbisch, ich war schon sterilisiert – so betraf das Thema uns eigentlich nicht persönlich. Wir wollten einfach ein paar Sachen durchdenken!

Forschungsergebnisse zur Pille zu finden und zu verstehen war nicht einfach, – das Internet gab es ja nicht – es war mühselig, aber effektiv.

Die Hersteller testeten die Antibaby-Pillen u.a. an Puertoricanerinnen, und zum Teil an Männern, die bei der Herstellung mit Östrogen in Kontakt kamen und denen Brüste wuchsen (der Vatikan war übrigens an einigen Fabriken beteiligt!)

Ich hatte die Pille bereits Anfang der 60er Jahre bekommen, war quasi Versuchskaninchen und litt dabei unter Herzschmerzen – damals dachte ich, es liege an der Ehe – tatsächlich wurden die ersten Pillengenerationen wegen der vielen Nebenwirkungen auch bald verboten.

Frauenhandbuch Nr 1 Vorderseite / Rückseite, handgeschrieben von Sarah Schuhmann

Deshalb auch waren wir gegen die Forderung „Pille auf Krankenschein“, die von Frigga Haug und der Sozialistische Frauenbund Westberlin (SFB) erhoben wurde. Zuerst sollte man unschädlichen Verhütungsmittel entwickeln, fanden wir.

Die erste Auflage des Frauenhandbuch Nr.1 war 30.000. In meiner Wohnung war ein Zimmer ganz voll mit diesen Büchern. Wir lieferten sie an die Buchhandlungen aus, erhielten aber praktisch nie eine Abrechnung. Die erste Auflage war gelb, zwei Jahre später 1974 folgte eine weitere Auflage in Rot.

Von der Gruppe Our Bodies – Ourselves wussten wir bei unserer ersten Auflage noch nichts, deren Buch entstand aus dem selben Anlass mit ähnlichem Ergebnis.

1974 machte Brot und Rosen die große Veranstaltung in der TU, auf der wir Ärzte anzeigten, weil sie illegal abtrieben. Speziell einen mit dem Spitznamen „goldene Curette“ – der aber offiziell ganz strikt gegen Abtreibung war. Ein anderer war über 80 und halb blind, machte aber auch weiter Abtreibungen – lauter skandalöse Mediziner. Obwohl Offizialdelikt, wurde unsere Anzeige nicht verfolgt.

Kaum war das Handbuch fertig, wurde die Gruppe Brot und Rosen mit Anfragen von betroffenen Frauen überschüttet. Alle Gruppenmitglieder waren berufstätig und einige hatten auch Kinder. So war es ihnen, wie mir Esther Dayan im Gespräch berichtete, vollkommen unmöglich, die Nachfrage an Beratung selber zu erfüllen: „Gott sei Dank gab es dann das Frauenzentrum“.

Das Frauenzentrum bot wöchentlich Abtreibungsberatung an. Brot und Rosen und die §218-Gruppe wechselten sich darin ab. (Das Frauenzentrum Berlin kooperierte mit Brot und Rosen, war aber nicht aus dieser Gruppe hervorgegangen.) Diese Trennung in qualifizierte Autorinnenschaft einerseits und der Vermittlungsarbeit an der Basis war aber nicht ganz zufällig. Roswitha Burgard hatte Kontakt mit Brot und Rosen schloss sich aber dann dem Frauenzentrum an; sie erklärte mir im Gespräch rückblickend, warum:

Die führenden Frauen waren zehn, zwanzig Jahre älter und wollten im kleinen Kreis bleiben, ich kann das heute verstehen. Ich wollte aber nicht für Frauen, sondern etwas mit Frauen tun. Deshalb wechselte ich, als das Frauenzentrum gegründet war, dorthin. Im Frauenzentrum versuchten wir damals, nicht mehr das Individuum zu pflegen, während Helke eine hervorgehobene bekannte Persönlichkeit war durch ihre Filme. Wir dagegen wollten alles gemeinsam machen, bis das dann später auch nicht mehr ging. So sehe ich den Unterschied.

[1] Der Film Macht die Pille frei? 1972, kann heute über die Deutsche Kinemathek ausgeliehen werden.

[2] Häutungen war mit über 400.000 verkauften Exemplaren der best verkaufte Frauenroman in deutscher Sprache.