Frauenhaus

Karin Kaltenberg vom Gründungsteam des ersten Frauenhauses erzählt, wie die 75-jährige Barbara von Renthe-Fink sie coachte.

Die Berliner Arbeitsgruppe gründete 1976 nach jahrelangen Bemühungen das erste Frauenhaus in Deutschland, Vorbilder waren die Chiswick Women’s Aid in London.

Das Bewusstsein wird geweckt

Davon hörte Cristina Perincioli, trempte im März 1974 nach London und interviewte die Frauen. Sie erinnert sich:

1974 gab es in Deutsch noch keinen Begriff für häusliche Gewalt (wir sprachen damals von „geschlagenen Frauen“) und außer den Betroffenen – die ja schwiegen – hatte niemand eine Vorstellung davon, was es konkret bedeutet. Die Engländerinnen erzählten mir ihre Geschichten auf Tonband, Geschichten aus einer Parallelwelt unfassbarer Grausamkeiten!

Flüchtlinge im eigenen Land, Chiswick Women’s Aid, London 1974. Foto: Cristina Perincioli

Zurück in Berlin suchte ich weitere Fälle häuslicher Gewalt und fragte im Plenum des Frauenzentrums, ob jemand Frauen kenne, die von ihren Männern geschlagen werden. Groß war mein Erstaunen, als sich Frauen als selbst Betroffene meldeten aus den Gruppen des Frauenzentrums, Frauen, die ich zu kennen glaubte, mit denen ich zusammen arbeitete! Nicht „die anderen“ hatten dieses Problem – nein, es war mitten unter uns! Täter waren hier ein Theaterbeleuchter, ein Kameramann, ein Manager von IBM: Ihre Geschichten um nichts weniger brutal und perfide.

Meine Interviews und Kontakte bildeten den Grundstock für eigene Rundfunkbeiträge, für den Dokumentarfilm, den Sarah Haffner für den WDR drehte Schreien nützt nichts. Brutalität in der Ehe, sowie für das Buch Gewalt in der Ehe und was Frauen dagegen tun, herausgegeben von Sarah Haffner und bildete die Wissensbasis für meinen Doku-Spielfilm Die Macht der Männer ist die Geduld der Frauen.
So schafften wir über verschiedene Medien ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit über dieses Tabu-Thema.

Die Berlinier Initativgruppe rang zwei Jahre

Das erste Frauenhaus in Holland wurde 1974 durch Hausbesetzung möglich: “Weil wir unsere kostbare Zeit nicht damit vertun wollten, (den staatlichen Stellen) ein Problem zu beweisen, das jeder konstatieren kann,” erklärten die Amsterdamerinnen. Auch in Berlin erschienen verprügelte Frauen im Frauenzentrum, für sie suchten wir verzweifelt nach Notlösungen. In der Senatsverwaltung für Jugend und Familie hatte man keine Eile: “Die gehen ja eh wieder zum Mann zurück!” konstatierte Frau Hase-Schur in einem Interview.

Doch dann stellte Ulrich Roloff-Momin auf Initiative des Arbeitskreises Emanzipation der FDP im Abgeordnetenhaus am 2. März 1976 eine kleine Anfrage dazu, wieweit dem Senat das Problem geschlagener Frauen in Berlin bekannt sei. Jetzt kam Bewegung in die Sache. Erstmals konnten Sozialämter und Wohfahrtsträger Fallzahlen nennen: rund 10% der ratsuchenden Frauen in Berlin waren Opfer häuslicher Gewalt. Zwar konnten die Sozialarbeiterinnen diese beraten, “bedauern aber, dass sie gerade bei akuten Fällen die entscheidende konkrete Hilfe nicht anbieten können, nämlich die sofortige Unterbringung der Frau und der Kinder.”

Das Problem war all diesen sozialen Einrichtungen bekannt, aber keine brachte die Sache an die Öffentlichkeit. Erst die Gruppe aus dem Frauenzentrum löste deren “Maulkorb”. Auch Familien- und Gesundheitsministerin Katharina Focke erklärte 1976 ihr Desinteresse, sah keine Notwendigkeit für ein Frauenhaus. Doch der Dokumentarfilm des WDR brachte die Öffentlichkeit gegen sie auf und so sagte sie – kurz vor den Wahlen – die Förderung des Frauenhauses als “Modellprojekt” für drei Jahre zu.

Das Team des ersten Frauenhauses (oben vlnr): Tomi Tomek, Karin Kaltenberg, Ursula Scheu, Roswitha Burgard, Christa Winterfeld; unten von links: Barbara Umbsen, Ilona Böttcher, Ruth Nehren. Foto:   Cristina Perincioli

Das Team des ersten Frauenhauses (oben vlnr): Tomi Tomek, Karin Kaltenberg, Ursula Scheu, Roswitha Burgard, Christa Winterfeld; unten von links: Barbara Umbsen, Ilona Böttcher, Ruth Nehren.
Foto:   Cristina Perincioli

Radikale feministische Konzepte

Wie eine feministische soziale Arbeit im Chiswick Women’s Aid 1974 praktiziert wurde, erklärt Iris, eine Arztfrau und Mutter von drei Kindern im Interview mit Cristina Perincioli:

Jede Frau, die dort hinkommt, findet andere vor, die ohne Worte verstehen, was mit ihr vorgeht. Es ist ein ungeheuer befreiendes Gefühl, dort zu sitzen und einfach vor sich hin zu weinen, allein. Es kümmert sich niemand darum, sie bringen dir was zu trinken und zu essen und lassen dich damit fertig werden, denn sie wissen, daß nur du es mit dir ausmachen kannst. Sie tun nichts, um es dir leichter zu machen, zeigen dir nicht Betroffenheit oder Mitgefühl. Sie lassen dich machen. Aber du hast das Gefühl, umgeben zu sein von Liebe. Alles, was du tust und sagst, wird verstanden. Das ist sehr wichtig, für mich wars sehr notwendig, und für viele andere Frauen dort. Ich verstehe erst, seitdem ich aus dem Frauenhaus weg bin, wie sehr es mir geholfen hat, dort zu sein, unter Leuten wie ich selbst, die auf irgendeine Art solange mißhandelt worden sind, bis sie fast verrückt waren. Und weil ich das verstehe, fühle ich mich dem Frauenhaus sehr verbunden. Selbst jetzt, wo ich ausgezogen bin, gehe ich noch jeden Tag dorthin. Ich kann jetzt anderen Frauen die Liebe und das Verständnis und das Gefühl der Sicherheit geben, die mir gegeben wurden, während ich mich mit meinen Problemen abgekämpft habe. (…)

Pat hat mit Iris ein Haus in Brixton besetzt, ihr neues Zuhause. Pat erinnert sich:

Als ich da ankam, war mir ganz elend zumute, und dann, nach ein paar Tagen, merkte ich, daß alle lachten und fröhlich waren. Schließlich war ich soweit, wir haben es dann oft getan, über das lachen zu können, was uns passiert ist.
Aber gerade weil wir alle das erlebt haben, weil wir alle in einem Boot sind, können wir darüber sprechen und sogar lachen. Ich kann jetzt zurückblicken und über vieles lachen, was mir passiert ist, denn wenn ich das nicht könnte, diese Einstellung nicht hätte, dann würde ich daran kaputtgehen.

Iris:

Man kann mit anderen darüber sprechen, und die Sicherheit wächst. Man bekommt ein großartiges Gefühl von Neubeginn, Anfang eines neuen Lebens. Man kann jetzt die Person werden, die man eigentlich ist.

1974 Frauen in der Womens Aid Chiswick beraten sich. Foto: Cristina Perincioli

Auch die Frauen im ersten Frauenhaus in Berlin verharrten nicht in der Opferrolle. Sie machten Telefondienst, aber vor allem hörten sie sich gegenseitig zu. Sie erzählten ihre Horrorerlebnisse einander immer und immer wieder – quasi therapeutisch! Keine Aussenstehende hätte diese wiederholten Erzählungen ertragen mögen. Für eine in gleicher Weise betroffene Zuhörerin ist das dagegen heilsam.

Weil das erste Frauenhaus autonom war, nicht Teil der Sozialwirtschaft, lernten sie aus der Rolle der “Klientin”, des Opfers, herauszutreten und sich untereinander beizustehen. Das war ein entscheidender Aspekt feministischer Therapie: die Würde zurück erlangen. Im Film Die Macht der Männer ist die Geduld der Frauen zeigten ehemalige Betroffene aus dem Frauenhaus, wie sie sich gegenseitig unterstützen.

Traumatische Erfahrungen werden in der Gruppe verarbeitet, die Neue wird aufgefangen.

Eine erfahrene Frauenhausbewohnerin begleitet die Neue zum Sozialamt….

… und unterstützt sie im Jugendamt.

Alle AusschnittE aus dem Film Die Macht der Männer ist die Geduld der Frauen – eine Dokufiktion von Cristina Perincioli für das ZDF 1978 gespielt von Frauen aus dem ersten Frauenhaus

Von Frauengruppen profitieren und ihnen das Geld entziehen

Bis heute gibt es autonome Frauenhäuser und solche, die von Wohlfahrtsverbänden getragen werden; deren erklärtes Ziel war, den „Einfluß der autonomen Frauenhäuser in der Öffentlichkeit und in den Ministerien einzuschränken“. Die Häuser der Wohlfahrtswirtschaft sind als Gegenpol zu feministischen Konzepten gedacht und haben ausserdem die oft jahrelange Vorarbeit der Feministinnen für ein lokales Frauenhaus geerntet – d.h. sie bekamen von der lokalen Politik den Zuschlag, ohne viel dafür getan zu haben. Diese und weitere Informationen zur Geschichte der Frauenhäuser in Deutschland finden sich in einem Interview mit Andrea Drobe von ZIF und Kathie von Asel vom Frauenhaus Kassel.

Die Badische Zeitung vom 7. Nov 2016 zieht dieses Fazit:

Bis heute werden die autonomen Frauenhäuser – je nach Finanzlage der Länder – pauschal nach der Anzahl der Plätze und nicht, wie immer wieder gefordert, bundeseinheitlich nach der Anzahl der tatsächlich dort lebenden Frauen finanziert. Die Einrichtungen beklagen immense Überbelegung, gerade weil es unter den Flüchtlingen viele gewaltbetroffene Frauen gibt. Oftmals müssen sie aufgrund fehlender Kapazitäten abgewiesen werden: 2015 fragten in Berlin 556 Frauen mit 759 Kindern erfolglos einen Frauenhausplatz nach. Für die Flüchtlingsfrauen kommt aufgrund ihres unsicheren Status finanziell niemand auf.

Die von der Frauenhausbewegung angestoßenen Debatten haben juristisch viel bewegt, zum Beispiel dass Vergewaltigung in der Ehe heute strafbar ist. Trotzdem erleben noch 40 Prozent aller Frauen in ihrem Leben sexuelle oder körperliche Übergriffe. Daran konnte auch die Frauenhausbewegung nichts ändern. Sie hat aber wesentlich dazu beigetragen, dass die Ausmaße des Geschehens sichtbar geworden sind.