Selbstuntersuchung

Eine Selbstuntersuchung der eigenen Vagina mit Spekulum und Spiegel vermittelt den Frauen Kenntnis uber ihren eigenen Körper und soll dem bisherigen totalen Ausgeliefertsein an Frauenärzte entgegenwirken.

Das erklärte uns Gaby Karsten im Frauenzentrum, machte sich ‚untenrum frei’, legte sich vor dem versammelten 300 Frauen auf einen Tisch, führte das Spekulum in ihre Scheide ein, auf dass wir alle sehen konnten, wie einfach diese Prozedur ist. Mir stockte der Atem bei dieser Szene, aber Gaby durchbrach unser Schamgefühl mit einer solchen Selbstverständlichkeit – beflügelt vom Willen zur Befreiung. Fortan sollte alles, was unser ‚Schamdreieck’ (neuerdings ‚Venushügel’) verbarg, für uns untersuch- und besprechbar sein. Nach dieser Vorführung bildeten sich ungefähr 20 Gruppen, die sich auf diese Weise selbst untersuchten.[1]

Gabi Karsten war eine Mitgründerin der Gruppe, sie resumiert 2018 im Schnelldurchlauf:

Durch Kontakte von Verena Stefan und Christiane  Ewert zu FWHC (Feminist Women’s Health Center) in den USA,  besuchten uns im FZ Berlin, im  November 1973 Carol Downer und Debbie Claire und begeisterten mich und alle anderen Mitkämpferinnen mit der eigenständigen gynäkologischen Selbstuntersuchung.
Dieses Initialsielebnis, Theorie und Praxis für alle Frauen zugänglich zu machen, prägte meinen privaten und beruflichen Lebensweg. Ich gründete Selbsthilfegruppen, fuhr durch die BRD  und andere europäische  Länder und zeigte den Frauen die Selbstuntersuchung. 1974 gründeten wir aus den vielen Gruppen mit entschlossenen Frauen das 1. Feministische  Frauengesundheitszentrum in Europa in Westberlin. Dieses feministische Zentrum arbeitet auch 2018 noch siefolgreich für alle Ethnien von Frauen. Zum Weiterlesen empfehle ich das 1974 herausgegebene Frauenhandbuch Nr.1, Hexengeflüster und die bis heute existierende Frauengesundheitszeitung CLIO.

Cristina Perincioli beschreibt weiter die Bedeutung der Selbstuntersuchung:

Dagmar Schultz hatte in den USA studiert und brachte Erfahrungen der amerikanischen Frauenbewegung ins Frauenzentrum Berlin. Vor allem das Buch Our Bodies – Ourselves[2] wurde sogleich übersetzt. Was die Initiatorinnen von Brot und Rosen 1972 mit ihrem Frauenhandbuch Nr. 1 begonnen hatten, nämlich eine kritische Betrachtung der Gynäkologen und deren oft frauenverachtenden Techniken, ergänzte nun Our Bodies – Ourselves. Dieses Buch ermutigt Frauen dazu, sich selbst Kenntnisse über die Funktionsweise der weiblichen Geschlechtsorgane zu verschaffen, um der Ärzteschaft nicht mehr ausgeliefert zu sein. Tatsächlich hatten wir unsere weiblichen Organe noch nie selber betrachtet, wussten nicht, wie sie funktionieren oder aussehen, wie sie ihr Aussehen verändern und was dies zu bedeuten hat. Das zu untersuchen, hatten wir immer den Gynäkologen überlassen und damit unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden den Entscheidungen dieser Männer überlassen. Dieses Terrain wollten wir uns zurückerobern.[1]

Eine Gruppe gründete 1974 das Feministische Frauen Gesundheitszentrum (FFGZ), das bis heute besteht. Die Gruppenmitglieder Dagmar Schultz, Gaby Karsten und Christiane Ewert gaben 1974 das Handbuch Hexengeflüster heraus, in dem Erfahrungen und gynäkologisches Wissen so verständlich weitergegeben wurden, dass es zahlreiche Auflagen erlebte.


Cover des Buches Hexengeflüster, herausgegeben im Frauenselbstverlag 1975.

[1] Für diesem Beitrag hat Cristina Perincioli Auszüge aus ihrem Buch „Berlin wird feministisch“, Berlin 2015, S.63 ff. selbst überarbeitet.
[2] Our Bodies – Ourselves, ab 1971 erschienen neun Auflagen, erarbeitet wurde es von der gleichnamigen Gruppe in Boston.